Zur kommunalen Finanzlage in Sachsen – oder: Quo vadis, Gemeinwesen? Mein Standpunkt: Prof. Dr. Holm Große, Bischofswerda, 13.4.2020

Städte und Gemeinden sind als Träger der kommunalen Selbstverwaltung ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichtet, so dass ihre Betätigung sowohl einen öffentlichen Zweck erfüllt, als auch der Daseinsvorsorge dient. Sie sind also direkt vor Ort für die Menschen da, erfüllen neben zahlreichen Pflichtaufgaben, wie etwa dem Personenstands- und Meldewesen, der Einrichtung öffentlicher Schulen und Kindertagesstätten, dem kommunalen Brandschutz mit der Unterhaltung der Feuerwehr, der Abwasserbeseitigung, der 
Unterhaltung Gewässer zweiter Ordnung, der Erstellung von Flächennutzungsplänen und  Bebauungsplänen, der Erschließung von Grundstücken und dem Friedhofswesen, die für die Lebensqualität der Menschen so wichtigen freiwilligen Aufgaben in den Bereichen Kultur (in Sachsen gilt der Sonderfall einer „deklaratorischen Pflichtaufgabe“), Soziales, Vereinsförderung, Sportanlagen (Sportplätze und -hallen, Frei- und Hallenbäder), Erholungsanlagen (Grünanlagen, Wanderwege), aber auch die Einrichtungen von Buslinien, Städtepartnerschaften etc. beinhalten - nach Maßgabe der finanziellen Möglichkeiten.

 

Und damit sind wir bei der Krux – waren doch diese finanziellen Möglichkeiten für die Städte und Gemeinden im Freistaat Sachsen außerhalb der großen Zentren mit ihren Speckgürteln unter der rigiden Sparpolitik der Regierung Tillich mit Finanzminister Unland bereits nicht ausreichend, was zur Unzufriedenheit der Menschen im ländlichen Raum führte, brachte der von der amtierenden Staatsregierung unter Ministerpräsident Michael Kretschmer vor zweieinhalb Jahren eingeschlagene Kurs wieder Hoffnung ins Land und etwas Licht in die Rathäuser und Straßen Sachsens. Schon vor Corona musste aber festgestellt werden, dass der Abstand zur deutlich besseren Einnahmeausstattung süd- und westdeutscher Kommunen trotz erheblicher Anstrengungen nicht geschlossen werden konnte, selbst unter den ostdeutschen Kommunen die brandenburgischen Städte und Gemeinden inzwischen finanziell wesentlich besser dastehen  als unsere sächsischen Kommunen. Der Sächsische Städte- und Gemeindetag (SSG) forderte daher Ende 2019 mit Blick auf die aktuelle Steuerschätzung eine höhere finanzielle Unterstützung durch den Freistaat – um den Kommunen wieder mehr Entfaltungsmöglichkeiten und die dafür notwendigen finanziellen Spielräume zu schaffen. Wichtige Instrumente dafür wären eine Erhöhung der kommunalen Finanzausgleichsmasse und eine Dynamisierung der für die Kommunalhaushalte besonders wichtigen Landespauschale für die Kinderbetreuung ein. Diese Pauschale liegt – bezogen auf einen Vollzeitbetreuungsplatz – unverändert deutlich unter dem Niveau der anderen Bundesländer. Hier erwarte ich als Oberbürgermeister, Mitglied des Landesvorstands des SSG und Kreistagsabgeordneter der Freien Wähler (FW), dass die Betriebskostensteigerungen in den Einrichtungen (mit den Personal- und Sachkosten) zukünftig nicht mehr nur sporadisch, sondern jährlich an die allgemeine Kostenentwicklung angepasst werden. Es geht um unsere Familien, unsere Kinder und damit die Zukunft unseres Landes – da kann es einfach nicht sein, dass jedes Jahr neu „gefeilscht“ werden muss. Als Freier Wähler fordere ich alle politisch Verantwortlichen im Freistaat, den sächsischen Kommunen und ihre Bürgern hier endlich volle Transparenz und Verlässlichkeit zu bieten. Dies würde übrigens auch das Vertrauen der Menschen in unser Land und die Demokratie entscheidend stärken.

 

Seit Mitte März hat sich unser aller Leben komplett verändert. Die Corona-Pandemie hat uns mittlerweile fest im Griff und ihre Bewältigung wird neben den aktuell prioritären Herausforderungen im Infektionsschutz – verbunden mit der Sorge um die vor dem Virus besonders zu schützenden Älteren und chronisch Kranken in unserer Gesellschaft sowie deren Unterstützung – dramatische Auswirkungen auf die kommunalen Haushalte bereits im laufenden Haushaltsjahr, aber auch in den Folgejahren haben. Mit dem am 9. April 2020 auf Grundlage der Feststellung einer außergewöhnlichen Notsituation nach Art. 95 Abs. 5, 6 SächsVerf durch den Landtag beschlossenen Nachtragshaushaltsgesetz 2019/2020 und ein Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens (Stabilisierungsfond) hat Sachsen die Voraussetzungen dafür geschaffen, in der erwarteten größten Notsituation seit Beendigung des 2. Weltkrieges handlungsfähig zu bleiben. Aber: diese hohe Neuverschuldung von 6 bis 7 Milliarden Euro soll mit ihren Maßnahmen wohl ausschließlich für die Finanzierung der Steuereinnahmeausfälle des Freistaates in den Jahren sowie zur Refinanzierung der pandemiebedingten Mehrausgaben für Infektionsschutz, Gesundheitswesen und die  Wirtschaft eingesetzt werden (Zitat https://www.coronavirus.sachsen.de/steuern-und-finanzen: „Die Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie erfordert neben den Anstrengungen im Gesundheitswesen und bei der Unterstützung der Wirtschaft auch einen handlungs- und leistungsfähigen Staatshaushalt.“) 

Es steht also die Frage, wo dabei die kommunale Ebene bleibt. Das Leben der Menschen spielt sich vor Ort ab, in den Städten und Gemeinden. Nach dem schrittweisen Aufheben des „Shutdowns“ wird eine Normalisierung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens nur gelingen, wenn kommunale Daseinsvorsorge in all ihren Bereichen aufrechterhalten und finanzierbar bleibt. Ohne Unterstützung durch den Freistaat wird dies nicht möglich sein. Den sächsischen Kommunen droht spätestens ab dem 2. Quartal 2020 ein Einbruch ihrer Finanzen mit einschneidenden Rückgängen in den Steuereinnahmen – vor allem bei den Gewerbesteuern, den Gemeindeanteilen an der Einkommen- und Umsatzsteuer und anderen mehr. Hierzu ist dringend und zwingend ein Maßnahmenpaket erforderlich.  Der SSG rechnet für 2020 mit kommunalen Steuerausfällen in Höhe von mindestens 1 Mrd. Euro, auch für die folgenden Jahre sind durch die Kommunen nicht ausgleichbare Steuereinnahmeausfälle zu erwarten. Rechnet man die ebenfalls deutlich sinkenden Schlüsselzuweisungen hinzu, muss man tatsächlich von einem „Rettungsschirm für das Leben vor Ort“ sprechen. Darüber hinaus wird es im Zuge der Folgen der Pandemie in zahlreichen Aufgabenbereichen  (insbes. Sozialleistungen) zu Mehrausgaben kommen, welche Städte, Gemeinde und Landkreise leicht überfordern können. Zusammenfassend ist festzustellen: Unterstützt der Freistaat seine Kommunen nicht, werden diese über kurz oder lang nicht mehr handlungsfähig und damit die Demokratie in Sachsen gefährdet sein. Schon heute ist das Verhältnis zwischen staatlicher und kommunaler Verschuldung in keinem deutschen Bundesland so sehr zu Ungunsten der kommunalen Ebene ausgeprägt wie im Freistaat Sachsen. Dessen niedrige Verschuldung ist aber eben auch das Resultat einer äußerst soliden kommunalen Haushaltspolitik, die diese erst ermöglicht hat. Aufgrund der Gleichwertigkeit kommunaler und staatlicher Aufgabenerfüllung muss nunmehr die gemeinsam erwirtschaftete „Reserve“ auch zugunsten der Städte und Gemeinden eingesetzt und der Stabilisierungsfond dazu genutzt werden, Entwicklungschancen für die Menschen und KMU auch in den ländlichen Räumen zu gewährleisten. Last but not least bedarf es zeitnah eines öffentlichen Konjunkturpaketes, um Investitionen in zentralen Bereichen wie dem Bau von Schulen und Kitas sowie dem Städte- und Straßenbau auf den Weg zu bringen: für die Bürgerinnen und Bürger, regionale Firmen und die Erhaltung bzw. Schaffung von Arbeitsplätzen. Krise heißt, keine zusätzlichen personellen und finanziellen Belastungen zu schaffen – dennoch können die Gemeinden gemeinsam mit vielen engagierten Menschen Vieles stemmen. Wenn man ihnen die Luft zum Atmen lässt.